BENU COUTURE's Mikrophon für Politisches
Persilschein
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Ich mache mir Gedanken über eine gerechte Mode. Viele Gedanken.
Ich mache mir Gedanken über eine gerechte Mode. Viele Gedanken. Unzählige Studien, Berichte, Bücher, Filme und Artikel. Ich selber kann doch aber die Mode nicht gerechter machen. Was kann ich tun, damit Menschen in Bangladesh und China endlich menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein akzeptables Mindestgehalt kriegen? Kann ich mich dagegen wehren, dass China mit Riesensummen eine neue Massenkleiderindustrie in Äthiopien entwickelt, in der Menschen nicht etwa endlich eine Arbeit haben? Nein, und so will es der Kapitalismus, nein, so wollen es eigentlich wir selbst, hier schuften die Menschen eine Stunde lang für etwa 15 Cent. Genau aus diesem Grund lassen so viele Textilhersteller:innen ihre Kleidung in Äthiopien nähen, wie z.B. Tchibo aus Deutschland. Mindestens einen Euro pro Stunde wären laut Global Living Wage Coalition erforderlich, um in diesem Land menschenwürdig von der Arbeit zu leben.
Wenn ich doch die globale Industrie nicht ändern oder gar beeinflussen kann, so kann ich doch lokal besser einkaufen. Oder? Meine Gedanken gehen zu Labels: Bio, Fairtrade , Global Organic Textile Standard . Stellt es nicht schon einen bedeutenden Schritt dar, hin und wieder zu versuchen, ein Kleidungsstück mit einem solchen Label zu erwerben?
Genau an dieser Stelle fängt es an. Das Risiko, sich gut fühlen zu wollen. Wir verlangen danach. Endlich ein Verhaltensmuster entdecken, bei dem ich, im Idealfall, nichts von meinem Lebensstandard einbüßen oder gar Gewohnheiten anpassen muss, und gleichzeitig "besser" lebe, irgendwie nachhaltiger, ja, gerechter. Wenn ich mich dabei ertappe wie ich davon abweiche, zum Beispiel am Wühltisch mit den unsagbar attraktiven Sonderangeboten, erkläre ich gleich vorbeugend, dass man nicht immer die Wahl hat, dass es am Ende des Tages auch wohl nicht auf diese paar Shirts ankommt, die ich ergattern konnte, dass … In dieser Situation hält jede:r von uns einen unendlich langen Katalog an Erklärungsoptionen bereit, die ständig bemüht werden.
Heraus kommt ein Bemühen der kleinen Schritte. Ein Geschehen, das auch von der Politik aber insbesondere von der Industrie mit Persilscheinen belohnt wird: Wirf Deine Kleider nicht etwa in den Müll, sondern gib sie bitte in den Container an der Ecke der Straße. Auf dem Containeraufkleber zeigt Dir bereits ein Kind mit großen Kulleraugen seine Dankbarkeit für Deine Gabe. Vielen Dank. Du hilfst. Zögere nicht, wieder her zu kommen und weitere Kleider mitzubringen. Du tust Gutes. Meine Güte, was für ein klasse Gefühl.
Und niemandem fällt auf, dass ich einen doppelten Punktsieg erringe: erstens helfe ich dem Kind auf dem Container und gleichzeitig mache ich, schtttt!, zuhause Platz für die neuen Kleider, die ich neulich im Laden gesehen habe. Außerdem sollte ich dem Kind ja auch nicht nur abgetragene Kleider bringen. Das wäre unhöflich, ja, regelrecht asozial. Demnach lieber die Kleider öfter tauschen, um noch mehr Gutes zu tun. Und dabei gleichzeitig noch den armen Menschen, die meine Kleider herstellen müssen, dabei helfen, ihren (erbärmlichen) Job nicht zu verlieren. Ich fühle mich gut, ach was, ich fühle mich großartig! Wenn jeder so denken und sich verhalten würde, hätten wir sicherlich keine Probleme mehr, zumindest im Textilsektor.

Immer wieder. Und überall.
Immer wieder. Und überall.
OK. Vielleicht.
Mir fällt auf, dass genau dieses Denkmuster mit großer Konsequenz gefördert und von allen (!) Seiten gut geheißen wird. Und genau dieses Denkmuster hat uns in die heutige Lage gebracht: alleine Europa verbrennt fast 35kg Kleider pro Sekunde und nennt das "Kleiderrecycling" (uff) … Deutschland alleine sammelt jährlich mehr als 1,3 Millionen Tonnen Kleider … das entspricht in Gewichtseinheiten etwa 5 Milliarden (!) T-Shirts … jedes einzelne Jahr … wer soll das alles anziehen … wieviele Kinder mit Kulleraugen benötigt man, um diese Kleider zu tragen. Der Trend nach mehr reisst einfach nicht ab. Obwohl wir doch Fairtrade und Bio, zumindest manchmal, kaufen. Und unsere Kleider auch wirklich in den Container oder auch zu BENU bringen.

Bitte, Leute, bitte!
Wenn wir tatsächlich etwas Nachhaltiges machen, etwas erreichen, ja, verändern möchten, dann sollten wir jetzt aufhören, uns in die Tasche zu lügen.
Den sozial und ökologisch nachhaltigen Konsumrausch, den gibt es schlicht und ergreifend nicht. Kleider werden nicht recycelt.
Wir helfen auch nicht vielen lieben Kindern, wenn wir möglichst viele Kleider zum Container bringen, oder zum Pfarrer, oder zur Nachbarin, die eine Tante in Bulgarien hat, die die Kleider dort den Bedürftigen anzieht.
Die Welt ersäuft in Kleidern. Unseren Kleidern. Die Meere sind voll damit, ebenso wie die Wüsten (z.B. in Chile). Und nicht, weil irgendwo auf der Welt böse Menschen sitzen, die diese Untaten zu verantworten haben. Nein. Diese Missstände sind die logische Folge unserer Konsumgewohnheiten.
Befreien wir uns!
Wenn wir tatsächlich etwas ändern, etwas verbessern wollen, für andere Menschen, für die Umwelt, das Klima und nicht zuletzt auch für uns selbst, dann müssen wir mit diesem Wahnsinn aufhören.
Es gibt sie durchaus, die angenehmen, attraktiven Alternativen, die ein andauerndes Wohlgefühl erzeugen. Alternativen, bei denen wir attraktive Mode tragen, abwechslungsreich, von guter Qualität, deutlich weniger von Chemie belastet als herkömmliche Ware. Kurzum Alternativen, die tatsächlich nachhaltiger sind, nachhaltiger für Umwelt und Mensch.

Lasst uns gemeinsam anfangen, etwas zu VERÄNDERN .
Georges
Natürlich ist der Wiederverkauf, die Wiederverwendung und die Verlängerung der Lebensdauer von Kleidungsstücken von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, etwas Vernunft in den Modezyklus zu bringen. Aber immer mehr Fast Fashion auf den Markt zu bringen und sie dann später wieder in Umlauf zu bringen, scheint das modische Äquivalent zur Kohlenstoffspeicherung zu sein. Das mag die Investoren beruhigen, aber es ist unwahrscheinlich, dass damit die Mode entkarbonisiert wird.
Can we enjoy fast fashion without destroying the planet? | TheGuardian 25.02.2022